Massenbewegungen in Deutschland (MBiD) – ein Kooperationsprojekt zwischen den Staatlichen Geologischen Diensten der Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe im Auftrag des Direktorenkreises der Staatlichen Geologischen Dienste in Deutschland
Land / Region: Deutschland, Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen
Projektanfang: 01.01.2018
Projektende: 31.12.2020
Projektstand: 31.12.2020
Erarbeitung von methodischen Empfehlungen zur regionalen Abschätzung der räumlichen Auftretenswahrscheinlichkeit (Suszeptibilität) von Massenbewegungen in Deutschland
Projektveranlassung:
- Gemäß der Ad-Hoc-Arbeitsgruppe Geologie (2016) der SGD sollen geogene Naturgefahren wie Massenbewegungen (Abb. 1), Subrosion/Verkarstung, Hochwässer der frühgeschichtlichen Vergangenheit sowie setzungs- und hebungsgefährdeter Baugrund in Deutschland nach einheitlichem Mindeststandard erfasst, bewertet und in Gefahrenhinweiskarten räumlich dargestellt werden.
- Die Earth Observation and Geohazard Expert Group (EOEG) unter dem Dach der geologischen Dienste der EU-Mitgliedsstaaten (EuroGeoSurveys) erarbeitet Grundlagen für eine zukünftige europäische Rahmenrichtlinie mit Schwerpunkt „Massenbewegungen“. Hierfür erfolgt initial die schrittweise Kompilation von Inventarinformationen (Herrera et al. 2018) sowie des verwendeten Methodenspektrums in den EU-Ländern. Die Implementierung einer solchen Rahmenrichtlinie hätte rechtlich bindenden Charakter für alle EU-Mitgliedsstaaten.
Das MBiD-Projekt mit seiner Fokussierung auf die Naturgefahr „Massenbewegungen“ leistet somit einen geowissenschaftlich fundierten Beitrag sowohl auf der nationalen als auch auf der europäischen Ebene.
Projektziel/Einordnung des MBiD-Projektes:
Ziel des MBiD-Projektes ist die Erarbeitung von methodischen Empfehlungen zur regionalen Abschätzung der räumlichen Auftretenswahrscheinlichkeit (Suszeptibilität) von Massenbewegungen in Deutschland. Durch die Nutzung dieser Informationen wird eine adaptierte Raum- und Entwicklungsplanung im korrespondierenden Maßstab auch unter Berücksichtigung von Hinweisen auf diese Naturgefahr angestrebt.
Die Umsetzung soll am Beispiel einzelner Pilotregionen in den involvierten Bundesländern bzw. grenzübergreifend erfolgen. Die zu erarbeitenden Empfehlungen schließen alle notwendigen fachlichen und datenrelevanten Anforderungen zur Erstellung von potenziellen Produkten ein. Die Identifizierung und Bewertung von Rutschungspotenzialen erfolgt auf der Basis vorhandener Informationen (z.B. Inventare) und unter Anwendung geeigneter Methoden im Hinblick auf eine nationale (harmonisierte) sowie europäische bzw. internationale Vergleichbarkeit.
Das etablierte Methodenspektrum der beteiligten SGD zur Bewertung der Empfänglichkeit gegenüber Massenbewegungen in unterschiedlichen Maßstäben bleibt davon unberührt.
Geplante MBiD-Meilensteine
- Kompilation projektrelevanter, deutschlandweit verfügbarer Informationsquellen, z.B. die durch die SGD/BGR erarbeiteten Kartenwerke und Datenbestände der GÜK200 und BÜK200;
- Definition der Mindestanforderungen zur Beschreibung des Inventars von Rutschungs- und Sturzprozess-Ereignissen;
- Modellierung der regionalen Suszeptibilität in Pilotregionen unter Anwendung statistischer, deterministischer und heuristischer Methoden;
- Validierung der Suszeptibilitätsmodelle (soweit möglich);
- Entwicklung/Weiterentwicklung von Software-Anwendungen zur räumlichen Analyse der Suszeptibilität;
Erarbeitung von praktischen Empfehlungen und Anforderungen zur Abschätzung der räumlichen Auftretenswahrscheinlichkeit von Massenbewegungen in Deutschland.
Ausführliche Zusammenfassung der Ergebnisse:
Das Projekt Massenbewegungen in Deutschland (MBiD) wurde im Auftrag des Direktorenkreises der Staatlichen Geologischen Dienste in Deutschland (DK) als ein Bund-Länder-Projekt unter Beteiligung von vier Staatlichen Geologischen Diensten (SGD) der Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen sowie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe im Zeitraum vom 01.01.2018 bis 31.12.2020 implementiert.
Ziel des Projekts war die Prüfung praktischer Anwendungsmöglichkeiten unterschiedlicher Methoden zur qualitativen und quantitativen Modellierung der natürlichen Hangrutschungsempfindlichkeit unter den in Deutschland existierenden Randbedingungen. Unter der Prämisse der Nutzung offizieller deutschland- oder bundeslandweit abrufbarer, klein- und großmaßstäblicher thematischer Informationsebenen wurde die Hangrutschungsempfindlichkeit auf der Grundlage komplexer Fallstudien unter Berücksichtigung statistischer, physikalisch-basierter und heuristischer Verfahren sowie Verfahren des Maschinellen Lernens modelliert.
In einer iterativen Herangehensweise wurden die Analyseergebnisse zunächst im Hinblick auf den Maßstabseinfluss der verwendeten Informations-/Parameterebenen bzw. auf das verfügbare Rutschungsinventar getestet und bewertet.
Es folgten vergleichende qualitative Untersuchungen zur Modellierung der Hangrutschungsempfindlichkeit bei Anwendung verschiedener Modellierungsverfahren in einem Naturraum sowie Untersuchungen zur Übertragbarkeit eines Modells eines Naturraums in einen geologisch-geomorphologisch vergleichbaren Naturraum. Dabei wurden auch die Optionen für kleinmaßstäbliche Analysen für einzelne oder zusammengesetzte kinematische Prozesstypen von Massenbewegungen auf Bundesebene geprüft und Schlussfolgerungen bezüglich der Erstellung einer Übersichtskarte der Hangrutschungsempfindlichkeit für Deutschland (HEÜK) gezogen.
Die Untersuchungen mündeten in der Erarbeitung von praktischen Lösungsansätzen und Empfehlungen (Workflows), die die bedarfsgerechte Auswahl geeigneter Methoden und die Entwicklung von reproduzierbaren Lösungsansätzen zur Modellierung der regionalen Hangrutschungsempfindlichkeit einschließen.
Die Untersuchungsergebnisse und Schlussfolgerungen basieren auf vier Fallstudien mit 14 Modellierungsbeispielen, die in fünf Testgebieten, nämlich der Schwäbischen Alb und Albvorland (Baden-Württemberg), der Fränkischen Alb und Albvorland (Bayern), Simbach (Bayern), dem Elbtalgraben (Sachsen) sowie dem Siegtal (Nordrhein-Westfalen), durchgeführt wurden. Die Testgebiete resultieren aus Vorschlägen der beteiligten SGD unter Maßgabe ihrer Relevanz hinsichtlich Gefährdungspotenzial, vorhandener Informationsgrundlagen und Bearbeitungspriorität im jeweiligen Bundesland.
In den verschiedenen Fallstudien wurden in Abhängigkeit von den verfügbaren Informationen anhand von einem oder mehreren Beispielen für die Prozesstypen Rotations- und Translationsrutschung sowie Felssturz die generelle Anwendung einer Modellierungsmethode, ein Methodenvergleich oder spezielle Teilaspekte einer Modellierungsmethode beispielhaft untersucht.
Die Ergebnisse aus den Fallstudien unter Verwendung der statistischen Methode der Gewichteten Evidenzen (MGE) zeigen, dass für die Analyse der Hangrutschungsempfindlichkeit die Massenbewegungen nach Prozesstypen differenziert betrachtet werden sollten, da ihnen unterschiedliche Ursachen zugeordnet werden können. Weiterhin belegen alle eingesetzten datengetriebenen Methoden (MGE, Logistische Regression und Künstliche Neuronale Netze), dass im Maßstab 1 : 250 000 der Parameter Hangneigung als alleiniger Parameter zur Erklärung von Sturzprozessen herangezogen werden kann. Für die Identifizierung der regionalen Empfindlichkeit gegenüber Rotations- und Translationsrutschungen sollte dagegen neben der Hangneigung zumindest der Parameter Petrographie zusätzlich berücksichtigt werden, um neben der statistischen Modellgüte auch einen akzeptablen Plausibilitätsgrad zu erlangen. Damit ergibt sich für die bundesweite Modellierung der Empfindlichkeit gegenüber Massenbewegungen eine vom Prozesstyp abhängige Machbarkeit. Während die Empfindlichkeit gegenüber Sturzprozessen bundesweit anhand weniger Testgebiete modellierbar ist, sind der Modellierung von Translations- und Rotationsrutschungen Grenzen gesetzt. Das liegt zum einen an einer nicht repräsentativen Auswahl petrographischer Einheiten in den untersuchten Testgebieten, die eine Übertragung der ermittelten statistischen Gewichte auf ganz Deutschland limitieren. Zum anderen ist es die fehlende Verfügbarkeit bundesweit homogenisierter Ereignisinventare, die bei einer möglichen Ausdehnung der Testgebiete den Einsatz datengetriebener Methoden stark einschränkt. Daher ist die Erarbeitung einer deutschlandweiten HEÜK für Rotations- und Translationsrutschungen mit datengetriebenen Methoden derzeit nicht umsetzbar.
Darüber hinaus kann für den Einsatz von Künstlichen Neuronalen Netzen (KNN) explizit gefolgert werden, dass der enorme Aufwand, ein KNN zu designen und zu trainieren, in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn steht. Unter Berücksichtigung der qualitativen und quantitativen Merkmale der vorhandenen Inventare ist der Einsatz von KNN für eine bundesweite Modellierung daher gegenwärtig noch keine Option.
Für die Bewertung der Hangrutschungsempfindlichkeit in Gebieten ohne Ereignisinventare wurde auf die Methode des Analytischen Hierarchieprozesses (AHP) zurückgegriffen, mit der sich heuristische Expertenschätzungen mathematisch auswerten lassen. Die Analyseergebnisse zeigen, dass eine deutschlandweite Bearbeitung für Sturzprozesse auf Basis einer expertenbasierten Bewertung der Hangneigung generiert werden kann. Für die Translations- und Rotationsrutschungen müssten auch andere Parameter beurteilt werden (z. B. alle petrographischen Einheiten für Deutschland). Dies wäre seitens der SGD nur mit einem extremen Arbeitsaufwand unter Beteiligung vieler Experten mit entsprechenden regionalen Kenntnissen realisierbar.
Der Einsatz des Infiniten Hangmodells (IHM) kann vor allem für die regionale Modellierung der Potenziale von Translationsrutschungen herangezogen werden. Gleich den heuristischen Verfahren benötigt diese physikalisch-basierte Methode keine Inventare für die Generierung eines Modells (erst bei der Validierung). Daher stellt dieser Ansatz eine pragmatische Möglichkeit dar, mit den vorhandenen Informationsebenen die regionale Empfindlichkeit gegenüber flachgründigen Translationsrutschungen, die oft durch Niederschlagsereignisse getriggert werden (z. B. im Testgebiet Simbach), abzuschätzen. Unter Berücksichtigung der Unsicherheiten aus der Modellparametrisierung kann diese Methode für flache Translationsrutschungen gute Ergebnisse liefern, für die deutschlandweite Betrachtung von Rotationsrutschungen und Sturzprozessen ist sie aber nicht geeignet.
Es lässt sich somit schlussfolgern, dass eine Abschätzung und Darstellung der Hangrutschungsempfindlichkeit für das Bundesgebiet (HEÜK) anhand einer einzelnen Methode unter Einbeziehung aller Prozesstypen gegenwärtig nicht möglich ist. Für den Prozesstyp Felssturz ist bundesweit eine datengetriebene Modellierung möglich. Ein konzeptueller Entwurf einer Karte der Felssturz-Empfindlichkeit in Deutschland wurde erarbeitet.
In einem Ausblick werden unter Berücksichtigung aktueller Anforderungen die Untersuchungsergebnisse im Hinblick auf mögliche Aktivitäten im Nachgang des MBiD-Projekts diskutiert.
Der vollständige Bericht steht hier zur Verfügung.
Referenzen:
Ad-Hoc-Arbeitsgruppe Geologie (2016): Gefahrenhinweiskarten geogener Naturgefahren in Deutschland – ein Leitfaden der Staatlichen Geologischen Dienste (SGD). – In: Geol. Jb. Reihe A Heft 164: 88 S., 19 Abb., 13 Tab., 2 Anl.; Hannover.
Gerardo Herrera, Rosa María Mateos, Juan Carlos García-Davalillo, Gilles Grandjean, Eleftheria Poyiadji, Raluca Maftei, Tatiana-Constantina Filipciuc, Mateja Jemec Auflič, Jernej Jež, Laszlo Podolszki, Alessandro Trigila, Carla Iadanza, Hugo Raetzo, Arben Kociu, Maria Przyłucka, Marcin Kułak, Michael Sheehy, Xavier M. Pellicer, Charise McKeown, Graham Ryan, Veronika Kopačková, Michaela Frei, Dirk Kuhn, Reginald L. Hermanns, Niki Koulermou, Colby A. Smith, Mats Engdahl, Pere Buxó, Marta Gonzalez, Claire Dashwood, Helen Reeves, Francesca Cigna, Pavel Liščák, Peter Pauditš, Vidas Mikulėnas, Vedad Demir, Margus Raha, Lídia Quental, Cvjetko Sandić, Balazs Fusi, Odd Are Jensen, (2018): Landslide databases in the Geological Surveys of Europe. – In: Landslides 15 (2), S. 359-379; Springer (Heidelberg). doi.org/10.1007/s10346-017-0902-z-
Partner:
Bayerisches Landesamt für Umwelt, Augsburg;
Geologischer Dienst Nordrhein-Westfalen - Landesbetrieb -, Krefeld;
Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie, Wiesbaden;
Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau Baden-Württemberg, Freiburg;
Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, Freiberg;
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover.