Seegravimetrie
Die systematische Messung der Schwere auf Schiffen begann in den frühen 1960er Jahren mit der Entwicklung brauchbarer Seegravimeter. Fortschritte bei der Messgenauigkeit beruhen insbesondere auf Entwicklungen der Steuerungs- und Regelungselektronik und vor allem den verbesserten Möglichkeiten der Navigation durch globale Satellitennavigationssysteme wie z. B. GPS.
Die Berechnung der Schwere aus Messungen der Satellitenaltimetrie hat zu globalen Datensätzen geführt, die die Werte der Freiluftschwereanomalien für fast alle ozeanischen Gebiete der Erde zur Verfügung stellen. Diese für Übersichtskarten und großräumig angelegte Untersuchungen sehr gut geeigneten Daten können aber die Messungen auf Schiffen nicht ersetzen. Das Problem der aus den Satellitenmessungen abgeleiteten Daten sind ihr geringes Auflösungsvermögen und systematische Fehler insbesondere in Flachwassergebieten. Außerdem benötigt man für detaillierte Modellierungen gute Wassertiefenwerte und wann immer möglich auch seismische Daten. Gute Schwerewerte in Kombination mit Zusatzdaten kann man auf See aber nur durch den Einsatz von Forschungsschiffen gewinnen.
Schweremessungen auf See sind ein auf den ersten Blick fast unlösbar erscheinendes Problem, wenn man sich verdeutlicht, dass Änderungen der Schwerebeschleunigung mit einer Genauigkeit von 1 mGal gemessen werden sollen. Diese in der Geophysik übliche Einheit entspricht ungefähr 10-6 g, das heißt einem Millionstel der Schwerebeschleunigung der Erde. Weil auf Schiffen selbst bei moderaten Windverhältnissen störende kinematische Beschleunigungen von bis zu 0,1 g auftreten, hat man also das Messsignal aus einem bis zu hunderttausendfach stärkeren Störsignal herauszufinden.
Trotzdem kann man mit Geräten, die nach dem eigentlich sehr einfachen Prinzip einer Federwaage funktionieren, diese Messaufgabe bewältigen. Die BGR setzt dazu das Seegravimetersystem KSS32M des Herstellers Bodensee Gravitymeter Geosystem GmbH (BGGS) ein. Das KSS32M besteht im Wesentlichen aus dem Schweresensor GSS30, der auf der kreiselstabilisierten Plattform installiert ist. Sämtliche Elektronikeinheiten einschließlich der Stromversorgung sind in die Plattform integriert. Zur Kontrolle, Steuerung und Datenaufnahme dient ein Notebook.
Die bewegliche Masse des Schweresensors GSS30 besteht aus einem Rohr mit einer Spule am unteren Ende und Teilen eines kapazitiven Wegaufnehmers am oberen Ende. Alles zusammen ist an der Messfeder aufgehängt und wird reibungsfrei von Metallfäden geführt. Wenn das System auf einer horizontierten Plattform in senkrechter Lage gehalten wird, kann sich die Masse ausschließlich in Vertikalrichtung bewegen und misst damit nur diese Komponente der Schwerkraft. Dieses Messprinzip ist völlig unempfindlich gegenüber Horizontalbeschleunigungen; ein großer Vorteil gegenüber anderen Konstruktionen, bei denen sich Querbeschleunigungen auf eine an einem horizontalen Balken aufgehängte Masse auch störend in Vertikalrichtung auswirken. Diesen sogenannten 'Cross Coupling'-Effekt muss man bei entsprechend konstruierten Geräten durch aufwendige und fehleranfällige Maßnahmen wieder korrigieren.
Der größte Teil der Schwerkraft wird beim GSS30 von der Feder direkt kompensiert. Längenänderungen der Feder infolge von Schwereänderungen werden von einem kapazitiven Wegaufnehmer erfasst und durch ein Feedbacksystem in einen der Schwereänderung proportionalen Strom umgesetzt. Dieser bewirkt, dass durch magnetische Kräfte auf die Spule, die sich in einem Permanentmagneten bewegt, die Feder in ihre Nulllage zurückführt wird. Die Stärke des Stroms durch die Spule ist also das Maß für die Schwereänderung. Zur Unterdrückung der Wirkung des Seeganges ist der Sensor durch das Feedbacksystem und durch nachfolgende wählbare digitale Filter stark gedämpft.
Ohne weitere Bearbeitung wären die Messwerte allerdings nicht zu gebrauchen. Die wichtigsten Schritte der Datenverarbeitung sind:
- Eine zeitliche Verschiebung der Schwerewerte um 76 Sekunden als Kompensation der Verzögerung, die die Messwerte aufgrund der notwendigen Dämpfung aufweisen.
- Die Eötvös-Korrektur, mit der die Vertikalkomponenten störender Trägheitskräfte beseitigt werden, die bei einem sich auf der rotierenden Erde bewegtem Meßsystem zwangsläufig auftreten. Die Qualität dieser Korrektur hängt entscheidend von der Qualität der Navigationsdaten, insbesondere von der Schiffsgeschwindigkeit ab.
- Der Abzug der Normalschwere, wodurch die breitenabhängige Schwere eines bestimmten Referenzellipsoids (hier GRS 80) als Bezugsniveau für die Schwereanomalien festgelegt wird.
- Die Driftkorrektur, die durch den Vergleich der Hafenablesungen des Seegravimeters mit Punkten bekannter Absolutschwere in den Anfangs- und Endhäfen bestimmt wird. Anhand dieser Hafenanschlussmessungen werden die Schiffsdaten auch in das Weltschwerenetz eingehängt. Die Drift bei unserem Instrument ist relativ gering ist und beträgt etwa 1-2 mGal pro Monat.
Wenn alle diese Korrekturen durchgeführt sind, ergibt sich als Ergebnis die sogenannte Freiluftschwereanomalie. Analysen aktueller Messfahrten zeigen, dass die Genauigkeit in der Regel bei unter 1 mGal liegt, was neben der hohen Qualität des Gravimeters den heutigen sehr guten Navigationssystemen zu verdanken ist
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