IV/2021: Bohrung Paruschowitz V in Oberschlesien – das tiefste Bohrloch der Welt von 1893 bis 1908
In der Stratigrafischen Sammlung der BGR in Berlin befinden sich 245 Bohrkern-Proben der Bohrung Paruschowitz V. Diese Bohrung ist die tiefste in einer Reihe von Erkundungsbohrungen auf Steinkohle in Oberschlesien gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Die fiskalischen Bohrungen erfolgten auf ministerielle Anweisung unter Mitwirkung des Königlichen Oberbergamtes zu Breslau. Mit einer Gesamtteufe von 2003,34 m erreichte sie für 15 Jahre den Status des tiefsten Bohrlochs der Erde.
Zur Mächtigkeit der flözreichen Karbonschichten brachte diese Bohrung, sowie die Tiefbohrung bei Knurow (1351m), den größten Erkenntnisgewinn. Die geologischen Untersuchungen zwischen Gleiwitz und Rybnik im oberschlesischen Steinkohlenrevier erfolgten durch Dr. T. Ebert und Dr. H. Potonie, beide Geologen an der Königlich-Preußischen Geologischen Landesanstalt (KPGLA). Das Material (Sandsteine, Tonschiefer, Tonsteine) – meist reich an Fossilien und interessanten Gesteinsbildungen - wurde an die Landesanstalt in Berlin überbracht und fand Eingang in die Sammlungen.
Geologie
Die Bohrung durchteufte nach 211 m känozoischer Deckschichten die typischen Schichten des Steinkohlenkarbons mit einer Wechselfolge aus Sandsteinen, Tonschiefern und Kohleflözen. Es wurden insgesamt 83 Steinkohlenflöze von teilweise großen Mächtigkeiten mit einer Gesamtmächtigkeit von 89,50 m erbohrt – ohne das flözführende Karbon komplett zu durchteufen. Damit war die Bohrung auch in wirtschaftlicher Hinsicht sehr erfolgreich. Noch heute werden 98 % der polnischen Steinkohle im Oberschlesischen Kohlebecken gefördert und 53 % des Roheisens wird hier produziert.
Die Schichten weisen ein mäßiges Einfallen (Neigung) von 15° bis maximal 25° auf und die Temperatur nimmt mit der Tiefe unregelmäßig zu; im Durchschnitt erhöht sie sich um 1°C über je 34 m; bei 2000 Metern Teufe beträgt sie 69,3° C. Anhand der zahlreichen Fossilienfunde erfolgte eine stratigrafische Einordnung nach der damals gültigen stratigrafischen Einteilung (siehe Tabelle). Heute werden alle diese Schichten dem Oberkarbon zugeordnet.
Übrigens: das Oberkarbon, in Europa seit 1958 offiziell auch Silesium genannt, verdankt diesen Namen den gut untersuchten und bedeutenden Steinkohlevorkommen dieses erdgeschichtlichen Zeitraumes in Schlesien.
Tabelle: Stratigrafische Zuordnung (nach damalig gültiger Stratigrafie) der durchteuften Schichten,
Anzahl der Flöze sowie Fossilfunde nach Ebert (1895)
Teufe in m | Stratigraphie | Fossilien + Petrografie | Kohleflöze | |
-14,90 | Quartär | Deckschichten | ||
-195,10 | Tertiär | |||
-973 | Mittleres | Mittl. + Unt. Orzescher Schichten | Neuropteris gigantea Pecopteris crenata Alethopteris Ionchitica Palmatopteris Coemansi + furcata | 63 Flöze, davon 20 mit Mächtigkeiten zwischen 1 und 4 m |
-1180 | Sattelflözgruppe | Obere Grenze durch Sphärosideritlager und Konglomerate Ohne Leitfossilien | 7 Flöze, von 0,93 – 10,02 m Mächtigkeit: Summe: 26,02 m | |
-2003 | Unterkarbon | Rybniker Schichten | Sphenophyllum tenerrimum Tierfossilien aus marinem Milieu (Lingula) und aus brackischem Milieu (Anthracomya, Modiola) in einzelnen kurzen Teufenabschnitten; Ostracoden erstmals im Karbon gefunden | 13 Flöze, davon nur 2 Flöze > 1 m |
Bohrtechnik
Paruschowitz V hat über den geologischen Kenntnisgewinn hinaus einen besonderen historischen Stellenwert aufgrund der damit einhergehenden Weiterentwicklung der Tiefbohrtechnik.
Die Bohrarbeiten wurden am 26. Januar 1892 aufgenommen, und zwar mit einer „lichten Weite der Verrohrung am Tage von 320 mm“ ein Durchmesser, der vom preußischen Fiskus bis dahin noch nicht verwendet wurde. Die Diamantbohrkrone erreichte nach mehreren Brüchen des Bohrgestänges am 17. Mai 1893 – mehr als ein Jahr später - die finale Tiefe von 2002,34 m. In 399 Arbeitstagen wurde damit ein durchschnittlicher Bohrfortschritt von täglich 5,01 m erzielt, während die Kosten 75.225,41 Mark insgesamt und 37,57 Mark für den laufenden Meter betrugen (im 1740 m tiefen Bohrloch von Schladebach hatte der laufende Meter 121 Mark gekostet). Nach Verengung durch sieben ganze und eine verlorene Röhrentour betrug die Bohrlochweite bei 2000 m noch 69 mm. So konnten 48 mm starke Bohrkerne zutage gebracht werden.
Das Erreichen der damaligen Weltrekordteufe war nur möglich, weil man nach einem gefährlichen Gestängebruch bei 1450 m zur Verwendung von sogenannten „schmiedeeisernen Mannesmann-Röhren“ für das Bohrgestänge übergegangen war. Das sorgte bei größerer Festigkeit für eine erhebliche Erleichterung des Bohrgestänges, obwohl auch dieses schließlich ein hohes Gewicht von 13.875 kg erreichte. Die Zeit, die nötig war, um die Diamantkrone aus 2000 m Tiefe heraufzuholen, damit der Kern herausgenommen werden konnte, betrug im Durchschnitt zehn Stunden.
Letztendlich mussten die Arbeiten wegen eines Unfalls eingestellt werden: Die schon zuvor verlorenen Röhren in der Tiefe zwischen 571 und 754 m verursachten durch eigene Brüche und einen Nachfall des Gebirges weitere Gestängebrüche, sodass die Bohrarbeiten beendet werden mussten. Schwierigkeiten bei den Rückholarbeiten führten dazu, dass schließlich zwei Diamantkronen, 40 m Kernrohre und 1.343 m Mannesmann-Gestänge im Bohrloch verblieben.
Der preußische Fiskus war Ende des 19. Jahrhunderts wohl der größte Bohrunternehmer der Welt. Zwischen 1880 und 1895 wurden bei 400 Tiefbohrungen insgesamt 130.000 Bohrmeter bei einem Kostenaufwand von 13 Millionen Mark gewonnen (Grad, 1895).
Literatur:
- Ebert, Th. & Potonie, H. (1893): Untersuchung von oberschlesischen Bohrungen: Dorotka, Paruschowitz V, Leschyzyn VII u. VIII ferner von Grubenfeldern und bei Golonoy.- Bericht Kgl. Preuss. Geol. Landesanstalt und Bergakademie zu Berlin.
- Ebert, Th. (1895): Die stratigraphischen Ergebnisse der neueren Tiefbohrungen im Oberschlesischen Steinkohlengebirge.- Abh. Kgl. Preuss. Geol. Landesanstalt, Neue Folge, H 10; Berlin.
- Gad, E. (1895): Neuerungen in der Tiefbohrtechnik.- Bd. 298; 157–163.
Dank gilt Michael Krempler, der die 245 Proben in der Sammlung digitalisiert und die entsprechenden Literaturzitate recherchiert hat.
Übrigens:
Die BGR unterhält Sammlungen in Berlin und Hannover, hier in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG). Sie gehören zu den großen geowissenschaftlichen Sammlungen in Deutschland.
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